(UN) FAIRER HANDEL?

Aus ARTE Magazin 8.2013 – (un)fairer Handel Arte Themenabend 6.8.2013 – 21:45

Gerechte Bezahlung, gute Arbeitsbedingungen, niedrige Preise – dafĂŒr sollen Fairtrade-­Siegel einstehen. Die aber werden mehr und mehr zum Marketingwerkzeug. Wie „fair“ ist der faire Handel noch?

Die Szene wirkt wie ein Bilderbuch-Idyll: Die tansanlsche BĂ€uerin Glory Miaka erntet Kaffeekirschen an den HĂ€ngen des Kilimandscharo, Ihre Tochter sitzt In Schuluniform auf der Terrasse, hinter WeidezĂ€unen meckern Ziegen. Die Bilder stammen aus einem Video der Handelsorganisation Gepa, Europas grĂ¶ĂŸtem Importeur fair gehandelter Lebensmittel und Handwerksprodukte. „Seit ich im Fairhandelsprogramm der Genossenschaft bin, bringen mir meine Kaffeebohnen endlich genug ein“, sagt Mlaka. FĂŒr jedes Kaffeepfund zahlt die Gepa mindestens 1,40 US-Dollar oder gegebenenfalls den höheren Weltmarktpreis. Hinzu kommt eine BioprĂ€mie, falls die Produzenten sich fĂŒr ökologischen Anbau entscheiden, eine EntwicklungsprĂ€mie, mit der Schulen und Infrastruktur in der Region finanziert werden, sowie InvestitionsvorschĂŒsse. Das grĂ¶ĂŸte Verdienst von Fairtrade ist, Produzenten wie Glory Miaka vor den Preisschwankungen an den Kaffeebörsen in New York oder London zu schĂŒtzen. Das Leben der meisten der weltweit 25 Millionen Kaffeebauern und -pflĂŒcker, die nicht im Fairtrade-System sind, sieht anders aus: Wenn die Preise an der Börse einbrechen, stĂŒrzen die Produzenten in Armut -ganz gleich, wie fleißig sie pflanzen, ernten, schĂ€len und rösten.

„Eure Almosen könnt ihr behalten, wenn ihr gerechte Preise bezahlt“: Diesen Ausspruch des brasilianischen Befreiungstheologen Dom Helder CĂ€mara machten sich die Pioniere der Falrtrade-Bewegung zum Leitmotiv. Ab 1946 entstanden erste Fairhandelsinitiativen bei den US-amerikanischen Mennoniten, die britische Nlchtregierungsorganisatlon Oxfam setzte sich ab 1965 fĂŒr gerechtere Handelsstrukturen ein und niederlĂ€ndische Kapitalismuskrltiker wendeten sich dem Thema ab 1967 zu. Alle Vorreiter hatten dieselben Forderungen: Produzenten aus EntwicklungslĂ€ndern sollten gerechte Bezahlung und faire Arbeitsbedingungen erhalten, die Herstellungsprozesse sollten transparenter gestaltet und den Konsumenten eine umweltfreundliche Produktion garantiert werden. Sogar die Vereinten Nationen nahmen den Slogan „Trade, Not Aid“ (Handel statt Hilfe) in ihre politische Agenda auf, doch die Forderung verhallte. Die Idee des fairen Handels wurde vor allem auf lokaler Ebene vorangetrieben.

Von der Nische zum Mainstream. In Deutschland lebte die Bewegung in den 70er Jahren in 6.000 Aktionsgruppen und WeltlĂ€den auf. Vor allem im dörflichen Milieu, wo das christliche Menschenbild verwurzelt und das Angebot in den SupermĂ€rkten beschrĂ€nkt war, fand das Fairhandelssystem Zuspruch. Doch erst die EinfĂŒhrung von GĂŒtesiegeln ermöglichte es, die Produkte in SupermĂ€rkten zu verkaufen und dort grĂ¶ĂŸere Kundengruppen zu erreichen. Der hollĂ€ndische Arbeiterpriester Frans van der Hoff machte 1988 den Anfang. Mit seinem Siegel Max Havelaar, benannt nach einem kolonialismuskritischen niederlĂ€ndischen Roman von Eduard Douwes Dekker, brachte er den Kaffee verarmter mexikanischer Bauern in hollĂ€ndische Discounter. Andere folgten, zum Beispiel das Siegel fĂŒr fair gehandelte Bananen, dass die US-amerikanischen Organisation Rainforest Alliance seit 1991 vergibt. Der Weg in den Mainstream war damit eröffnet – und die Diskussion entbrannt.

Verloren Im Zeichendschungel. Der in internationale Dachverband Fairtrade Labelling Organizations

International (FLO) legt seit 1997 fĂŒr die nationalen Lizenzgeber verbindliche Standards fest. Der deutsche Lizenzgeber ist der Verein TransFair, der das Siegel Fairtrade vergibt und fĂŒr jede Verwendung eine GebĂŒhr erhebt. Die Branche boomt: Nach Angaben des Vereins verdoppelt

sich der Umsatz mit fair gehandelten Produkten in Deutschland derzeit alle drei Jahre – 2012 waren es 533 Millionen Euro. Vorstand Volkmar LĂŒbke sieht sich auf dem richtigen Weg: „Erst durch relevante AbsĂ€tze können die Produzentenorganisationen umfangreich vom fairen Handel, den Mindestpreisen und PrĂ€mien profitieren.“ Profit machen aber auch die SupermĂ€rkte, die die Kosten des Fairhandelssystems nicht mittragen – aber fĂŒr fair gehandelte Ware höhere Gewinnmargen veranschlagen als bei herkömmlichen Produkten. Auf Druck der SupermĂ€rkte hat FLO zudem die Kriterien aufgeweicht. Zum Beispiel mĂŒssen in Mischprodukten nur noch 20 statt wie zuvor 50 Prozent der Inhaltsstoffe fair gehandelt sein. Bananen mit dem Siegel Fairtrade dĂŒrfen nun auch von Großplantagen stammen statt ausschließlich von Kleinbauern. Und wie im ARTE-Dokumentarfilm zu sehen ist, beschĂ€ftigen manche Besitzer von Fairtrade-Plantagen, wie etwa in der Dominikanischen Republik, Arbeiter ohne Papiere unter fragwĂŒrdigen Bedingungen. UnabhĂ€ngige Kontrollen der Fairtrade-Kriterien sind rar.

Immer mehr langjĂ€hrige Importeure distanzieren sich daher in der letzten Zeit vom Siegel Fairtrade. Die Gepa hat es von den meisten ihrer Waren entfernt und durch ein „Fair plus“-Zeichen ersetzt.  Andere Importeure ziehen nach – jeder mit eigenem Symbol und eigenen Kriterien. Wie der Kunde sich in diesem Zeichenwald orientieren soll, sagen sie nicht. ‱ CHRISTINA FELSCHEN